Das 4. Gebot Gottes und die Gesellschaft

■ Die Zehn Gebote Gottes, welche Moses auf dem Berg Sinai mitgeteilt worden sind (Deut 5,1-18), bilden ja bekanntlich die essentielle Grundlage der sittlichen Gesetze des Alten und Neuen Bundes. Zwar wurden dann später manche der betreffenden moralischen Forderungen von Jesus in den Evangelien im Sinn der ursprünglichen Intention Gottes ergänzt und präzisiert (so z.B. zum Thema der Feindesliebe: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen und betet für sie…“ [Mt 5,43-45]), aber dennoch sind und bleiben die Zehn Gebote auch das Fundament der christlichen Morallehre. Bezeichnenderweise baut dann auf ihnen Jesus gerade in der Bergpredigt (Mt 5-7) auf, welche als das sogenannte „Evangelium im Evangelium“ bezeichnet wird.
Untersucht man die Zehn Gebote auf ihre inhaltliche Struktur, erkennt man, dass die ersten drei Gebote sittliche Forderungen in Bezug auf Gott enthalten, die Gebote 4-10 dagegen in Bezug auf andere Menschen. Des Weiteren dürfte man wohl voraussetzen, dass die Gebote auch eine gewisse Rangordnung der Bedeutung für uns aufweisen, weshalb manche Gebote zuerst und vor den anderen genannt werden. So geht es ja in den ersten drei Geboten zuerst tatsächlich um Gottes Liebe und Ehre und erst dann um das mannigfache Gebiet der Nächstenliebe.
Daher ist es bemerkenswert, in dieser zweiten Geboten-Gruppe zuallererst die Forderung nach der Ehre von Vater und Mutter zu erblicken (4. Gebot), und zwar vor dem für das menschliche Zusammenleben essentiell wichtigen und somit „erst“ als dem 5. Gebot aufgelisteten Verbot der Tötung anderer Menschen! Setzt man also jene nicht ganz zu Unrecht vermutete Bedeutungsordnung der Gebote voraus, kommt man zu einer Schlussfolgerung, dass die Ehre von Vater und Mutter sogar noch als irgendwie gewichtiger angesehen wird als das extrem wichtige Gebot: „Du sollst nicht töten!“ (Deut 5, 17.)
Und tatsächlich enthält das 4. Gebot: „Du sollst Vater und Mutter ehren, wie der Herr, dein Gott, dir befohlen hat, damit du lange lebst und es dir wohlergeht in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir geben wird“! (Deut 5,16), eine viel größere Dimension der Bedeutung und Auswirkung auf das menschliche Zusammenleben, als man sich das anfänglich meistens vorstellt. Denn es bezieht sich im Ausmaß seiner Geltung nicht nur auf den sehr engen Kreis der eigenen Eltern, sondern schlussendlich auch auf die eigene Familie, Sippe und das Volk. Letztendlich spricht es auch die Frage nach der grundsätzlichen Behandlung der älteren Generation und des eigenen geistigen Erbes an, was sich gerade viele der modernen sich angesichts der Gefahren der weiter voranschreitenden Entchristlichung wie Islamisierung Europas leider im sogenannten „Kapitulationsmodus“ befindenden Christen vor Augen führen sollten!
■ Nun, zunächst geht es im 4. Gebot Gottes tatsächlich um die Beziehung zu den eigenen Eltern. „Du sollst Vater und Mutter ehren“. Das Wort „ehren“ bedeutet, „von jemand ehrenvoll denken und alles, was ihn angeht, sehr hoch schätzen. Mit solcher Ehre ist aber auch alles Folgende verbunden: Liebe, Aufmerksamkeit, Gehorsam und Verehrung.“ Denn wen „einer von Herzen ehrt, den liebt und fürchtet er auch“. (Römischer Katechismus nach dem Beschlusse des Konzils von Trient für die Pfarrer. PETRUS-Verlag, Kirchen/Sieg 1970, S. 304.)
Wenn man dem Kindes- und Teenageralter entwachsen ist und eben als Erwachsener entweder Einblicke in das Leben anderer Familien hat oder vielleicht sogar selbst eine Familie gegründet hat, erkennt man, wie viel Zeit, Kraft und Opfer es die Eltern kostet, um ihre Kinder sowohl in äußerer Hinsicht sozusagen auf die Beine zu stellen als auch geistig zu guten und anständigen Menschen zu erziehen. Mit der Geburt der Kinder fokussieren Eltern einen Großteil ihrer persönlichen Lebensressourcen auf das jeweilige Kind, welches dann in vielerlei Hinsicht den Mittelpunkt ihres Lebens bildet.
Wenn wir dann aber entsprechende Rückschlüsse auf unsere eigenen Eltern ziehen und eben beherzigen, wie viele schlaflose Nächte sie mit uns verbracht, welche berechtigten Sorgen sie sich in all den Jahren um uns gemacht und wie sehr sie ihre eigenen berechtigten Interessen und Bedürfnisse hintenan gestellt haben, um in erster Linie für uns da zu sein und unser Wohlergehen sicherzustellen, dann werden wir erst lernen, ihren gesamten Einsatz für uns in Vergangenheit und Gegenwart richtig zu schätzen und das ganze Maß ihrer Liebe zu uns zu erblicken!
So sagt ja der Römische Katechismus, dass mit dem Gebot Gottes, die eigenen Eltern zu „ehren“, „auch alles Folgende verbunden (ist): Liebe, Aufmerksamkeit, Gehorsam und Verehrung.“ Denn wen „einer von Herzen ehrt, den liebt und fürchtet er auch“. Somit kann man das Maß und die Intensität unserer „Ehre“ und Liebe, die wir als Erwachsene den eigenen Eltern schulden und dann auch tatsächlich entgegenbringen, am besten wohl daran abmessen, wie viel Zeit und Aufmerksamkeit wir für sie aufbringen.
■ Vielleicht wird uns der Sinn dieser Worte bzw. Werte noch verständlicher, wenn wir ihn auf dem Hintergrund der von uns, Menschen, entsprechend gemachten Fehlern beleuchten. So ist ja leider nicht so selten anzutreffen, dass sich Eltern z.B. darüber beklagen, ihre Kinder würden sich bei ihnen eigentlich nur dann melden bzw. sich nach ihnen erkundigen, wenn sie (wieder) etwas von ihnen brauchen und zwar meistens finanzielle Unterstützung. Die übrige Zeit seien sie halt „alt genug“ und „selbstständig“ und wollen dieses eigene wie auf einer Fahne kindisch vorangetragene „Erwachsensein“ auch und gerade dadurch unterstreichen, dass sie sowohl ihre Eltern (als auch andere ältere Respektspersonen bzw. Autoritäten) im starkmöglichsten Umfang beiseite schieben und aus dem eigenen Leben ausgrenzen und somit faktisch verachten.
Sonst verschwendet man kaum einen nachhaltigen Gedanken der echten Dankbarkeit und Wertschätzung an die Eltern bzw. hat kaum Zeit für sie. Wenn man aber durch Lebensumstände plötzlich in irgendeine Notsituation gerät und speziell von ihnen Hilfe für sich erhofft, erinnert man sich ebenso plötzlich wieder, dass es sie gibt und man mit ihnen Kontakt aufnehmen sollte.
Ebenso vernimmt man manchmal Klagen (so u.a. auch von Bewohnern von Seniorenheimen oder dem dort angestellten Personal), dass manche Eltern selten oder nie Besuch von ihren Kindern erhalten (oder sich wenigstens telefonisch mit ihnen unterhalten), auch wenn diese nicht sehr weit entfernt leben sollten. Natürlich hat jeder seine eigenen Lebensumstände (Arbeit, Familie, Kinder, schwächere Gesundheit usw.), die Zeit und Kraft kosten. Aber wie weh muss es den Eltern im Herzen tun, wenn sie auf die eine oder andere Weise erkennen müssen, dass ihnen seitens ihrer Kinder und Enkelkinder leider doch ein ziemliches Desinteresse entgegen gebracht wird! Die gelegentlichen Anrufe und Besuche werden eher pro forma erledigt, die gestellten Fragen nach ihrem Zustand und Wohlbefinden werden nach der Art einer leidigen Pflicht gestellt.
Oder heißt es nicht im Volksmund sarkastisch, dass sich kurz vor dem Ableben eines alten und wohlhabenden Menschen plötzlich eine ganze Menge Verwandter bei ihm melden würde – aus Gründen der Spekulation auf eine mögliche Erbschaft!?
Im Sinne des 4. Gebotes Gottes ist aber die Pflege eines möglichst herzlichen Verhältnisses mit den eigenen Eltern bzw. die Unterhaltung einer solchen ehrlichen und vertrauensvollen Verbindung zu ihnen, dass sie erkennen, ihre Kinder und Kindeskinder würden sie trotz mannigfacher eigener Pflichten und Belastungen im Leben wirklich ehren bzw. ihnen echte Dankbarkeit und Wertschätzung entgegenbringen. Manchmal erzielt da auch schon ein kurzer Anruf eine große positive Wirkung, der den Eltern eben signalisiert, dass sie keinesfalls aus dem Leben ihrer Kinder ausgeschlossen seien.
Da gibt es natürlich auch viele andere Zeichen und Taten, mit denen wir unseren Eltern unser Nicht-Gleichgültig-Sein ihnen gegenüber zeigen können. Denn für die Eltern gibt es kaum etwas Schlimmeres, als von den eigenen Kindern mehr oder weniger vergessen oder auch „nur“ zurückgewiesen zu werden!
■ Man sollte immer sehr vorsichtig und extrem zurückhaltend sein bei der Urteilsbildung, sollte man z.B. mitbekommen, dass jemand seinen Vater oder seine Mutter in ein Altenheim gebracht hat und sie somit nicht selbst zu Hause pflegt, wie es in früheren Zeiten halt häufiger bzw. oft sogar die Norm war. Oft genug kennt man, außerhalb der Familie stehend, nicht die dem betreffenden familiären Fall zugrunde liegenden Umstände und sollte sich daher grundsätzlich tunlichst eines besserwisserischen Urteils enthalten! Ein Seniorenheim ist an sich sehr wohl eine sinnvolle Einrichtung, die in vielen Fällen hilft und unterstützt. Es gibt leider die Notwendigkeit, die eigenen Eltern in ein solches Seniorenheim gehen zu lassen bzw. zu geben, weil es anders auch beim besten Willen nicht geht.
Dennoch kann man nur „den Hut ziehen“ und höchsten Respekt vor solchen Kindern und Enkelkindern empfinden, die ihre Eltern und Großeltern trotz eigener Pflichten und Belastungen im Leben dennoch im eigenen Haus behalten und aufopferungsvoll pflegen – gelegentlich sogar unter Aufgabe des eigenen Berufs und des damit verbundenen Karrierebruchs und Verzichts auf das betreffende finanzielle Einkommen!
Und noch mehr Hochachtung verdient jemand, der sich analog sogar um seine Schwiegereltern kümmert und eben zu Hause pflegt! Man weiß ja aus Erfahrung, dass da ganz besonders das Verhältnis zwischen den Schwiegermüttern und deren Schwiegertöchtern problematisch sein kann.
In den beiden letztgenannten Fällen wird somit mit noch mehr persönlichem Einsatz mit entsprechenden Taten, auf die es ja gerade ankommt (und keinesfalls nur mit leeren Worten), speziell den eigenen Kindern wie der jüngeren Generation insgesamt ein beredtes Beispiel dafür gegeben, was es in besonderen Härtefällen auch bedeuten kann, die Eltern zu „ehren“ und zu lieben! Denn die Kinder lernen immer am besten von den anschaulichen Beispielen ihrer eigenen Eltern, wie man auch und gerade das 4. Gebot Gottes erfüllen soll. Denn vernachlässigen die Eltern die Großeltern, dürfen sie sich auch nicht wundern, wenn sie später ebenfalls von den eigenen Kindern entsprechend vernachlässigt werden!
■ Nach genuin christlich-katholischem Verständnis stellt die Ehe unter zwei Christen sowohl einen an sich unauflöslichen Lebensbund als auch ein Sakrament dar – die Natur-Ehe wurde von Jesus Christus ausdrücklich zur Würde eines Sakramentes erhoben! Somit erhält jedes entsprechende Brautpaar bei seiner katholischen Trauung auch den Auftrag von Gott, bei der betreffenden Erziehung und geistigen Formung ihrer künftigen Kinder gewissermaßen die Stellvertretung Gottes auszuüben!
Darauf gründen dann zunächst die entsprechenden Pflichten der Eltern ihren Kindern gegenüber, sie so mit Liebe und Fürsorge zu umgeben und richtig in der Ehrfurcht Gottes zu erziehen, dass die Kinder darin dann auch umso leichter die Liebe Gottes zu ihnen bzw. Seine gesunde Zucht erkennen können – ein hoher und wichtiger Auftrag! Denn die Kinder, die die gesunde Liebe ihrer Eltern erfahren, sind psychologisch eher in der Lage, hinter dieser selbstlosen Liebe der Eltern auch die alle menschlichen Maße übersteigende Liebe und Autorität Gottes zu erkennen.
Zweitens sollen aber auch die Kinder ihre eigenen Eltern in gewissem Umfang bewusst als eine Art Stellvertreter Gottes für sich selbst sehen! Daraus ergeben sich dann wie von selbst alle entsprechenden Pflichten der Kinder ihren Eltern gegenüber – ehrt man die Eltern, ehrt man auch Gott; ehrt man die Eltern nicht (hinreichend), versündigt man sich auch Gott gegenüber entsprechend!
So kritisiert ja Jesus ausdrücklich die betreffende Heuchelei der Pharisäer, die mit faulen Ausreden ihrer betreffenden Kindespflicht nicht nachkommen wollten: „Er entgegnete ihnen: ‚Warum übertretet ihr selbst das Gebot Gottes um eurer (menschlichen – Anm.) Überlieferung willen? Gott hat geboten: Du sollst Vater und Mutter ehren! Und: Wer Vater und Mutter schmäht, der soll des Todes sterben. Ihr aber sagt: Wer zu Vater und Mutter sagt: Was ich dir zukommen lassen sollte, ist Weihegabe, der braucht seinen Vater oder seine Mutter nicht mehr zu ehren. So setzt ihr das Gebot Gottes um eurer Überlieferung willen außer Kraft. Ihr Heuchler!‘“ (Mt 15,3-7.)
Der hl. Apostel Paulus betont im Epheserbrief ausdrücklich, dass sich die Elternschaft der menschlichen Väter und Mütter von der allgemeinen Vaterschaft Gottes über alle Geschöpfe ableitet: „Deswegen beuge ich meine Knie vor dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, vor dem alle Vaterschaft im Himmel und auf Erden stammt“ (Eph 3,14f.). Damit will er offensichtlich ebenfalls jenes christliche Prinzip von der Stellvertretung Gottes in der Elternschaft ansprechen.
Zwar ändert sich mit zunehmendem Alter sehr wohl die Art und Weise wie auch die Besonderheit der gegenseitigen Verpflichtungen in Bezug auf das 4. Gebot. Denn z.B. der den Eltern geschuldete Gehorsam eines 40-, 50- oder 60-jährigen Kindes unterscheidet sich doch deutlich von dem eines Kleinkindes oder Jugendlichen.
Aber dennoch bleiben die Kinder immer Kinder für ihre Eltern wie auch die Eltern immer Eltern für ihre Kinder bleiben! An diesem grundsätzlichen Verhältnis ändert dann auch das höhere Alter nichts. Daher kann und darf man die Eltern auch beim eigenen Erwachsensein niemals wie andere bzw. ganz fremde Menschen behandeln. Mag ihr Einfluss auf unsere Lebensgestaltung mit zunehmendem Alter natürlich abnehmen, was sie natürlich ebenfalls nicht vergessen und sich somit nicht zu sehr und ungesund in die Belange ihrer Kinder einmischen sollten.
Dennoch bleiben sie auch dann noch unsere Eltern, weswegen sie irgendwie von selbst manche Privilegien haben, so uns z.B. offen ihre Meinung zu sagen oder einen Rat zu erteilen, und zwar völlig unabhängig von irgendwelchen Ausbildungen, Ämtern und Ehren der Kinder. Wenn wir sie dann aber dennoch irgendwie abkanzeln oder uns ihnen gegenüber etwa schroff und gereizt verhalten sollten, würden wir selbst etwas Essentielles nicht verstanden haben bzw. etwa die Mentalität eines von sich selbst zu sehr eingenommenen pubertierenden Jugendlichen an den Tag legen, der immer selbst alles besser wissen und sich von niemand irgendetwas sagen lassen will.
So kann doch z.B. ein Sohn seinem Vater, der einen Betrieb aufbaute, Jahrzehnte lang leitete und dann diesem Sohn übergab, niemals sagen, er werde jetzt von ihm, dem Sohn, nichts mehr über die Geschäfte des Betriebs erfahren, außer er richtet an ihn ausdrücklich eine entsprechende Anfrage. Oder wie kann sich z.B. eine Tochter erlauben, der eigenen Mutter bekanntzugeben, diese werde jetzt von ihr, der Tochter, nach ihrer Heirat nichts mehr über das eigene Leben und die geborenen Enkelkinder erzählt bekommen, außer die Mutter fragt bei ihr sozusagen offiziell danach. Wie ein solches Verhalten zu bewerten wäre, ist wohl jedem vernünftigen Menschen klar.
Und noch abwegiger und die Eltern zutiefst beleidigend wäre, wenn diese Kinder ihren Eltern ausdrücklich sogar ein „Recht“ auf ein solches eigenes Schweigen ihnen gegenüber abverlangen wollten! Nun gibt es leider nichts, was es nicht gibt.
■ Vergessen wir bitte auch nicht, für unsere Eltern zu beten! Denn wie viele innige Gebete um Segen und Schutz für uns haben unsere guten katholischen Eltern doch in all den Jahren den Himmel hinauf geschickt! Wie könnten wir ihnen dies ebenfalls jemals vergelten? Vielleicht sollte dann unsere Reaktion auf diese Erkenntnis in noch etwas mehr an Wertschätzung und aufrichtiger Dankbarkeit sowie an Geduld und Rücksichtnahme bestehen. Und beten wir natürlich auch für sie um all die Gnaden und Hilfen, die sie brauchen!
Jesus gibt uns selbst ein exzellentes Anschauungsbeispiel der Liebe eines Kindes zu seiner Mutter bzw. der betreffenden Fürsorge für die Eltern! Denn als Er nämlich am Kreuz hing und um unseres Heiles willen sowohl herzzerreißende körperliche Schmerzen eines fürchterlichen Erstickungstodes als auch eine solche gewaltige und für uns unvorstellbare Pein der Seele erlitt, die Ihn sogar die Gottverlassenheit durchleiden ließ (vgl. Mt 27,46), vergaß Er dennoch nicht, sich zur selben Zeit auch um Seine gebenedeite Mutter, die allerseligste Jungfrau Maria, zu kümmern! Da Jesus ja das einzige Kind Seiner Mutter war und sie mit Seinem Tod (und der späteren Himmelfahrt) nun ohne männlichen Schutz (eines Sohnes oder Ehemannes) zurücklassen musste, übergab Er sie der verantwortungsvollen Obhut Seines Lieblingsjüngers, des hl. Apostel Johannes (vgl. Joh 19,26f.).
Also dachte Er ausgerechnet während Seiner schlimmsten und bittersten Stunde hier auf Erden an Seine Kindespflichten, die natürlich auch für Ihn aus dem 4. Gebot Gottes entsprechend entflossen, und unterstrich somit für uns höchst eindrucksvoll die Gewichtigkeit und Bedeutung unserer betreffenden Pflichten: „Du sollst Vater und Mutter ehren, wie der Herr, dein Gott, dir befohlen hat…“!
■ Der Römische Katechismus führt in Bezug auf das 4. Gebot auch noch aus: „Die Anwendung dieses Gebotes hat aber eine sehr weite Ausdehnung, denn außer denen, welche uns gezeugt haben, gibt es noch viele, welche wir an Elternstatt ehren müssen, sei es aufgrund ihrer Macht oder Würde oder Nützlichkeit oder irgend eines ausgezeichneten Amtes und Dienstes“ (ebd., S. 302). „Es müssen aber nicht nur die geehrt werden, von denen wir geboren sind, sondern auch jene, welche Väter genannt werden, wie die Bischöfe und Priester, die Könige, Fürsten, Obrigkeiten, Vormünder, Pflegeväter, Lehrer, Erzieher, Greise und andere der Art; denn sie sind es wert, aus unserer Liebe, unserem Gehorsam und Beistand Frucht zu ernten: doch einer mehr als der andere. … Ja, man muss den Priestern auch das darreichen, was zu den Lebensbedürfnissen erforderlich ist“ (ebd., S. 307.).
Somit übten oder üben solche Autoritätspersonen für uns ebenfalls einen gewissen Umfang an der Vaterschaft Gottes aus – natürlich jeder auf seine konkrete Weise. Durch solche über uns gottgewollt gestellten Autoritätspersonen werden wir ebenso mitgeprägt – ob nun bei der Grundlegung unserer Persönlichkeit im Kindes- und Jugendalter oder beim Erlangen von Wissen oder bei der Bildung des Charakters und der Entwicklung guter Sitten oder bei der Entstehung von Glauben und dem Wachstum einer bewussten intensiven Gottesbeziehung usw.
So haben wir die sittliche Pflicht, sie ebenfalls „an Elternstatt (zu) ehren“! Über den allgemeinen Geltungsbereich dieses Gebotes hinaus könnten für uns da heute insbesondere in Frage kommen: unsere Taufpaten; unsere älteren Verwandten; unsere Lehrer; unsere Tauf- und Erstkommunionpriester; unsere Jugendpriester und Beichtväter als geistliche Führer; unsere früheren wie gegenwärtigen Vorgesetzten in Beruf, Gesellschaft und Kirche. So führt Paulus interessanterweise aus: „Ich bin durch die Verkündigung des Evangeliums euer Vater in Christus Jesus geworden“ (1 Kor 4,15).
Wie wir bereits sahen, hört unsere betreffende Verpflichtung, diesen ganzen Personenkreis ebenfalls „an Elternstatt ehren (zu) müssen“, weder abrupt noch ganz auf, sollte eines der bestehenden Autoritätsverhältnisse irgendwann einmal auch konkret enden. Der Gedanke der ehrlichen Dankbarkeit und auch einer gewissen Ehrfurcht vor diesem ganzen Personenkreis sollte uns nicht erlauben, sie danach in unserer inneren Einstellung wie in der äußeren Behandlung ebenfalls etwa bloß auf die Stufe eines weniger bekannten Menschen zu stellen.
So kannte ich früher einen traditionalistischen Priester, der zu seiner Priesterweihe aus Gründen ehrlicher Dankbarkeit und tiefen Respekts einen älteren Priester aus einem fernen Land eingeladen hatte, der zur gegebenen Zeit in seinem Tätigkeitsbereich zwar leider auch die modernistischen „Reformen“ eingeführt hatte, dem betreffenden jungen Mann aber als sein früherer Jugendpriester dennoch wertvolle Hilfe für seinen Glauben und die Weckung und Reifung seiner priesterlichen Berufung geben konnte. Diesem älteren Priester entsprechend Ehre zu erweisen war für den damaligen Primizianten ausdrücklich eine Frage der Ehre.
■ Was ist Familie? Über die reine Blutsverwandtschaft hinaus, die allein schon eine starke Bindungs- und Solidaritätswirkung im zwischenmenschlichen Bereich hat, dann vor allem die geistige Nähe und geistige Verbundenheit unter Eltern, Kindern und Geschwistern zueinander. Man entstammt biologisch den Eltern und wird von ihnen als Kind und Jugendlicher mental, charakterlich und religiös geformt. Das ist dann unser „Nest“, dem wir entspringen und welches einen großen Teil unserer Identität ausmacht.
Was ist Volk? Wohl eine Gemeinschaft von Menschen, die einander nicht nur in Bezug auf ihre Ethnie und Sprache nahe stehen, sondern dann vor allem analoge geistige wie religiöse, geschichtliche wie schicksalsrelevante Wurzeln aufweisen bzw. entsprechende Ziele verfolgen wollen. Solche die geistige Grundstruktur des Menschen bildenden Bindungen liegen in der Natur des Menschen und können durch keine noch so „politkorrekten“ Beschlüsse mancher der modernen Parlamente und internationalen Organisationen seriös geleugnet werden!
Denn sonst würde man einer gefährlichen Ideologie anhängen, die auf die Zerstörung des betreffenden natürlichen Umfeldes des Menschen gerichtet ist und ihn somit geistig, religiös, familiär und volksmäßig entwurzelt. Im Endergebnis soll dann wohl ein Mensch geschaffen werden, der eben keine gesunden identitätsstiftenden Wurzeln haben dürfte, damit er eben leichter zu manipulieren wäre! Wer wachen Geistes die Entwicklungen in unseren Landen wahrnimmt, sieht, dass die gesellschaftliche Entwicklung sich in der Neuzeit gerade in diese desaströse Richtung bewegt!
Eine sehr große und sogar entscheidende Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der oben genannten normalen Strukturen eines Menschen spielen, wie man leicht einsehen kann, gerade die gesunden Autoritäten in Familie, Volk und Gesellschaft! Sie halten nicht unwesentlich alles gewissermaßen bei- und zusammen bzw. lassen es mit konkretem Leben füllen. Nähme man aber aus dem betreffenden Konstrukt einen der genannten essentiellen „Steine“ heraus, führe man einen entsprechenden massiven „Einsturz“ herbei.
Nicht umsonst bezwecken gewisse Feinde der Kirche und einer gottgewollten gesellschaftlichen Ordnung seit etlichen Jahrhunderten gerade die Infragestellung, Aufweichung und Zerstörung von Kirche und Staat – nämlich zuerst und vor allem gerade mittels der Unterwanderung und inhaltlichen Pervertierung einer jeglichen gesunden kirchlichen wie staatlichen Autorität, die bewusst auf christliche Werte gesetzt haben bzw. intentional ausdrücklich ein geistiges Königtum Jesu Christi aufbauen wollten! Weshalb denn sonst sowohl die Französische Revolution (samt der betreffenden tragischen Folgeereignisse in Vergangenheit und Gegenwart) als auch der kirchliche Modernismus?
Wir sehen also, welche zentrale Bedeutung das 4. Gebot Gottes auf die Entstehung und das Funktionieren einer vernünftigen gesellschaftlichen wie kirchlichen Ordnung hat. Die Dimension der betreffenden sittlichen Forderung, die Eltern und andere Autoritätspersonen zu „ehren“, übersteigt deutlich den rein familiären Bereich und wirkt sich in der Folge schöpferisch positiv auch auf die gesamte Gesellschaft und den Staat aus! Nicht zufällig sagt man im Volk, dass der geistige Stand einer Gesellschaft sehr gut auch und gerade an der Frage ihres Umgangs mit älteren Menschen generell abgelesen werden kann. Ob überhaupt und wieviel dann im Einzelnen dem Alter bzw. der älteren Generation gegenüber an Hochachtung, Wertschätzung, Dankbarkeit und Respekt entgegengebracht werde, dient als ein sehr guter Indikator für die geistige Reife und den moralischen Zustand einer Person, Familie und Gesellschaft!
■ Zum Schluss noch ein kurzer Kommentar eines katholischen Priesters, welchen ich kürzlich vernehmen konnte. An seine Bekannten, die sich ausdrücklich für Patrioten ihres gemeinsamen (europäischen) Landes halten, welches ebenfalls unter einer sehr niedrigen Geburtenrate des ursprünglichen und an sich christlich geprägten Bevölkerungsteils leidet (dabei aber ebenfalls einen moslemischen Bevölkerungsteil hat, welcher dagegen eine sehr hohe Geburtenrate aufweist und somit ständig wächst), richtete er nämlich die folgende kritische Bemerkung. Nein, sagte er, ihr seid keine echten Patrioten eures Landes! Warum? Weil ihr, obwohl ihr sogar verheiratet seid, bewusst und willentlich keine Kinder haben wollt! Ihr sagt, ihr wollt das Leben genießen oder das Geld sei knapp. Für Urlaubsreisen und manches mehr findet ihr aber sehr wohl Geld. Wenn es hoch kommt, „erlaubt“ ihr euch ein Kind. Äußerst selten sind zwei Kinder in einer Familie anzutreffen. Nein, sagte dieser Priester, ihr seid keine wirklichen Patrioten eures eigenen Landes und liebt nicht euer Volk, wie ihr verbal behauptet!

P. Eugen Rissling

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